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Erwartungssicherheit schaffen

Nadine Weissheimer • März 10, 2020

Erwartungssicherheit - was ist das und wozu brauche ich es?

Wenn wir von Erwartungssicherheit im Zusammenleben mit dem Hund sprechen, dann meinen wir, dass der Hund weiß was als nächstes passiert. Anders als bei unseren menschlichen Mitbewohnern, können wir Hunden keine Vorgänge in der Zukunft erklären, deshalb wird Erwartungssicherheit im Umgang mit Tieren durch wiederkehrende Handlungsmuster geschaffen. Diese Hanldungsmuster wiederholen sich so regelmäßig, dass der Hund eine Erwartungshaltung entwickelt: "Aha, wenn das passiert, dann passiert danach immer das". Zu wissen, was man vom gegenüber zu erwarten hat und zu wissen, was in bestimmten Situationen als nächstes passiert, schafft eine innere Sicherheit und reduziert Stress.

Risiken von zuviel Erwartungsunsicherheit

Das Gegenteil von Erwartungssicherheit ist Erwartungsunsicherheit. Wenn der Hund also in einer Umgebung lebt, die sich ständig verändert oder wenn er ständig andere Erfahrungen in ein und derselben Situation macht. Der Hund kann sich nie sicher sein, was als nächstes passiert. Besonders, wenn auch negative Erlebnisse wie Strafen im Alltag des Hundes sehr präsent sind, versetzt diese Unsicherheit den Hund in eine dauerhafte Alarmbereitschaft. Er hält ständig Ausschau nach Vorzeichen für eventuelle Bestrafung und kann sich so nie richtig entspannen. Wenn diese dauerhafte Alarmbereitschaft länger anhält, entwickelt sie sich zu zu chronischem Stress. Chronischer Stress ist für den gesamten Körper sehr belastend, mindert die Lebenqualität und verkürzt die Lebensdauer.

Erwartungssicherheit zu schaffen, ist also eine richtig gute Investition in ein besseres und längeres Hundeleben.
Erwartungsunsicherheit wird gefördert durch:
  • Erziehungsstil: "Zuckerbrot und Peitsche"
  • Der Mensch verhält sich mal so, mal so.
  • Stark variierende Tagesabläufe
  • Sehr unterschiedliche Fütterungszeiten
  • Sehr unterschiedliche Gassizeiten
  • Futter ausschließlich für Leistung
  • (Unvorhersehbare) Bestrafung

Die "Muttersprache" der Hunde ist die Körpersprache. Um in einem Rudel zurecht zu kommen, muss man wissen wie es dem Gegenüber gerade geht und was er möchte, um wiederkehrende Konflikte zu vermeiden. Viele Hunde sind sehr gut darin die menschliche Körpersprache zu lesen. Wir hingegen setzen unsere Körpersprache eher unbewusst ein und nehme die unseres Gegenübers auch auf einer eher unbewussten Ebene wahr, da wir uns sehr auf die verbale Kommunikation fokussieren. Hunde wissen daher meistens bevor wir uns dessen wirklich bewusst sind wie es uns geht und was wir als nächstes tun werden. Dieses Wissen hat aber seinen Preis: Der Hund beobachtet uns sehr gut. Dies wird dann zum Problem, wenn der Hund mit uns negative Erlebnisse wie Strafen oder Unberrechenbarkeit verknüpft hat und uns daher quasi den ganzen Tag im Auge behalten muss, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Gründe dafür kann eine gewisse emotionale Aufgewühltheit sein: Haben wir mal einen guten Tag und "verzeihen" dem Hund viel und dann haben wir nur 24h später einen schlechten Tag und peifen den Hund für dasselbe Verhalten, das am Vortag einfach unkommentiert blieb, an, dann schaffen wir Erwartungsunsicherheit. Auch sehr stark varierende Tagesabläufe, Gassizeiten und Essenszeiten tragen dazu bei, dass der Hund nie weiß wann er wirklich schlafen/ausruhen kann, wann er aufs Klo gehen kann und wann er mit Nahrung versorgt wird. Das erzeugt Stress.

Eine der schlimmsten Ratschläge ist den Hund ausschließlich nur dann zu füttern, wenn er etwas tut, das wir gut finden. Der Hund kann nie in Ruhe fressen. Der Gradmesser wann und wieviel Futter er bekommt, ist für den Hund nicht ersichtlich. Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis! Es an Bedingungen zu knüpfen, ist ausgenommen unfair und führt dazu, dass der Hund zunehmend gestresst ist, wenn es ums Futter geht. Das kann nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig sehr negative Folgen haben, denn Futter wird dann mit einer sehr hohen Erregungslage verknüpft.

Ich kenne Hundehalter, die mir davon berichten, dass sie mit geschnittene Wienerwürstchen im Leckerlibeutel mit ihrem Hund nicht mehr trainieren können, weil der nurnoch sabbernd an ihrem Rockzipfel hängt und so hektisch und aufgeregt ist, dass er keine 2 Sekunden stillsitzen kann. Die Wienerwürstchen versetzen den Hund in eine viel zu hohe Erregungslage, um effektiv lernen zu können. Mein Ratschlag an dieser Stelle ist Futter mitzunehmen, das dem Hund nicht ganz so wichtig ist und das er dennoch gerne nimmt, dann ist denken und lernen auch wieder besser möglich. Wenn Hunde nurnoch für Leistungen gefüttert werden, kann es leicht passieren, dass ein Hund in genau diese zu hohe Erregungslage auch bei ganz normalem Futter gerät. Diesen Zustand wieder zu verändern, ist keine leichte Übung!

Es spricht im übrigen nichts dagegen einen Teil des Futters für das Training oder Beschäftigung wie Nasenarbeit zu verwenden. Mein Einspruch richtet sich gegen die ausschließliche Fütterung für Leistung. Solange der Grundbedarf des Hundes mit der normalen regelmäßigen Fütterung gedeckt ist, ist Futter ein gutes und wichtiges Helferlein im Training. Es gibt im Übrigen Hunde, die aus dem Napf nicht fressen wollen/können und die ein kleines Suchsspiel brauchen, um gut fressen zu können. Diese Hunde brauchen die Erregungslage, die durch die Aufgabe erzeugt wird, um Futter aufnehmen zu können. Die meisten Hunde haben allerdings mit der Napffütterung keine Schwierigkeiten.

Erwartungssicherheit schaffen

Nachdem wir uns nun mit der Erwartungsunsicherheit beschäftigt haben, möchte ich darauf eingehen wie wir es schaffen können, dass unser Hund mehr Erwartungssicherheit entwickelt.
Meine Strategie um meinem Hund mehr Erwartungssicherheit im Alltag zu geben:
  • Regelmäßige Fütterungszeiten (zB zwischen 6 und 9 Uhr und zwischen 15 und 18 Uhr)
  • Regelmäßige Gassizeiten (zB zwischen 6 und 9 Uhr und zwischen 12 und 15 Uhr und zwischen 18 und 24 Uhr)
  • Feste Tagesroutinen strukturieren den Alltag
  • Meine Hunde wissen, dass sie von mir nichts negatives zu erwarten haben.
  • Erziehungsstil: Positive Verstärkung überwiegt
  • Ich verhalte mich in verschiedenen Situationen berechenbar
  • Markertraining
  • Ankündigungen
  • Kooperationssignale
  • Inselspaziergänge

Ein strukturierter Alltag

Ein struktrierter Alltag bedeutet für mich, dass die Hunde einschätzen können, wann sie in etwa Essen bekommen und wann sie die Gelegenheit haben aktiv zu sein und aufs Klo zu gehen, d.h. meine Fütterungs-, Gassi- und Trainingszeiten spielen sich täglich in einem in etwa gleichen Zeitraum ab. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Hunde sich in bestimmten Zeiten auch auf Ruhe und Entspannung einrichten können. Das bedeutet nicht, dass ich meine Hunde immer um Punkt 7 Uhr füttere und wenn ich 5 min zu spät bin schon die große Panik ausbricht. Es geht eher um Abläufe, die für die Hunde berechenbar sind, weil sie immer gleich und in einem absehbaren Zeitraum von 2-3 Std ablaufen. Das hat auch für den Stoffwechsel und die Kreislaufaktivität große Vorteile, der Körper spart so Ressourcen und ist nicht ständig auf Aktivität eingestellt. Wenn an einem Tag aus Grund xy mal alles anders ist, dann ist das für die Hunde kein Weltuntergang, weil sie die Umstellung an diesem Tag gut kompensieren können.

Auch feste Tagesroutinen machen es dem Hund einfacher abzuschätzen was als nächstes passiert. Beispielweise läuft bei mir der Aufbruch zum Gassi oder das Verlassen des Hauses immer gleich ab. Dadurch können die Hunde gut zwischen einem Aufbruch zum Gassi und wenn ich das Haus alleine verlasse unterscheiden und sich entsprechend darauf einrichten. Wenn mein Grisu sieht, dass ich meine "Nicht-Hunderunde"-Jacke greife, dann schaut er kurz in den Flur, dreht sich um und legt sich wieder hin. Auch das alleine lassen läuft bei uns immer nach dem gleichen Muster ab, die ich zuvor mit Entspannung verknüpft habe. So ist den Hunden direkt klar: Ok nun ist sie erstmal weg und wir können weiter vor uns hin schlummern.

Eine positive Erwartungshaltung dem Menschen gegenüber

Wenn der Hund die Erfahrung macht, dass vom Menschen nichts schlechtes ausgeht, dann wird der Mensch für den Hund zu einem vertrauensvollen Partner und einem sicheren Hafen. Das schafft enorm viel Sicherheit, denn auch wenn wir weiterhin aus der Sicht des Hundes manchmal ganz verrückte Ideen haben, wenigstens verhaltenwir uns immer freundlich und unsere Nähe löst beim Hund keine erhöhte Alarmbereitschaft aus.

Das Markertraining hilft zusätzlich enorm die Kommunikation zwischen Hund und Mensch eindeutig zu gestalten. Eindeutigkeit wirkt sehr stark stressreduzierend. Beim Markertraining erlernt der Hund, dass ein kurzes Wort zB Yip, Yup, Yap, Click usw. zuverlässig eine Belohnung ankündigt. D.h. der Mensch verspricht dem Hund mit dem Markerwort, dass gleich etwas Gutes für ihn folgt. Dadurch, dass das Markerwort so kurz ist und präzise gegeben werden kann, hat der Hund die besten Chancen herauszufinden für welches Verhalten genau er gerade belohnt wird. Das Verhalten wird durch das Markerwort sozusagen markiert oder sprichwörtlich eingefangen. Die Kommunikation ist eindeutig, das Training dadurch effizient und das Ziel für den Hund leicht zu verstehen.

Besondere Trainingselemente, die dem Hund noch mehr Kontrolle und Informationen darüber geben, was als nächstes passiert, ist das Kooperationssignal und die Ankündigungen.

Beim Kooperationssignal erlernt der Hund dem Menschen seine Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Ein Hund kann zB lernen, dass solange er sich auf einer bestimmten Decke befindet, er gebürstet, die Haare zurechtgeschnitten oder Nägel gekürzt werden. Verlässt er die Decke, werden diese Handlungen sofort eingestellt. So kann der Hund mitteilen wann er bereit ist sich weiter "bearbeiten" zu lassen. Für Kooperartion wird der Hund gut belohnt, aber nicht dafür bestraft, wenn er nicht mehr kooperieren möchte. Eine andere Möglichkeit ist dem Hund beizubringen eine bestimmte Körperhaltung einzunehmen solange er kooperieren möchte. Ein gutes Beispiel ist der Kinntouch bei dem der Hund sein Kinn in die Hand des Menschen drückt, während er zB. beim Tierarzt untersucht wird. Die Übung muss natürlich zuerst Zuhause in kleinen Schritten geübt werden bevor sie beim Tierarzt einsatzbereit ist.

Angekündigt werden können z.B. Handlungen, die den Hund sonst erschrecken würden. Mein Grisu mag es nicht, wenn Hände auf ihn zukommen. Beim Anleinen ist er deshalb häufig erschrocken, weil meine Hand plötzlich von hinten in seine Nähe kam. Deshalb kündige ich das Anleinen an, indem ich "Leine" sage und dann erst die Hand in seine Richtung bewege. Auf diese Weise weiß Grisu immer was gleich passiert und erschrickt nicht. Das Anleinen ist für ihn so sehr viel angenehmer. Angekündigt werden kann auch: Das Säubern der Pfoten, Aus- und Einsteigen in das Auto, Schließen der Autotür nachdem der Hund eingestiegen ist (Geräusch!), verschiedene Belohnungen (jedes Spielzeug kann einen eigenen Namen bekommen), Anfassen verschiedener Körperteile, Öffnen des Mauls, Krallenschneiden usw. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade ängstliche Hunde sehr von Ankündigungen profitieren, aber auch meine sehr sichere Hündin Maja profitiert beim täglichen Zähneputzen davon, dass ich ihr genau sage wann ich in ihr Gesicht fasse und ihr Maul öffne und wann ich mit dem Putzen beginne. Anschließend wird natürlich belohnt. Ich hab beobachtet, dass die Hunde sicherer werden und zeigen deutlich weniger Meideverhalten zeigen.

Inseln auf Spaziergängen sind markante Orte, die auf dem Hin- und Rückweg immer für die gleiche Aktivität benutzt werden. Die einfachste Variante ins Inseltraining einzusteigen, ist dem Hund immer am selben Ort eine Futtersuche auf dem Boden anzubieten. Inseln strukturieren den Spaziergang und verknüpfen bestimmte Orte mit einer positiven Interaktion mit dir. Entspannungsinseln, also Inseln auf denen wir mit den Hunden Ruhe üben (bitte einen Ort aussuchen, der für den Hund nicht superspannend ist), können auf dem Spaziergang als richtiger Reset wirken. Wenn vielleicht auf dem Weg zur Entspannungsinsel was blödes passiert ist, dann hilft diese Insel enorm dabei, dass es danach viel entspannter weiter gehen kann.

Fazit

Erwartungssicherheit wird geschaffen, indem wir uns für den Hund berechenbar, freundlich und eindeutig verhalten und den Alltag für den Hund so strukturieren, dass er nicht ständig darum bangen muss wann es zum nächsten mal etwas zu essen gibt oder er aufs Klo gehen kann. Grundbedürfnisse wie Schlaf, Nahrung, Aktivität, Soziale Nähe und der Toilettengang werden zu regelmäßigen Zeiten befriedigt. Durch positives Training lernt der Hund den Menschen als verlässlichen Partner kennen, der seine Bedürfnisse auch über die Grundbedürfnisse hinaus kennt und befriedigt. Das Markertraining hilft dabei eindeutig und effizient mit dem Hund zu kommunizieren und so Klarheit zu schaffen, die Stress nochmal deutlich reduziert.

So hat der Hund Ressourcen frei, um sich den Überraschungen des menschlichen Alltags erfolgreich zu stellen.
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