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Konditionierte Entspannung

Nadine Weissheimer • Apr. 07, 2021
 Auf Knopfdruck entspannen, sowas geht? Naja nicht ganz - aber fast.

Entspannung - warum eigentlich?

Entspannung ist das Gegenteil von Anspannung und ist damit ein wertvoller und wichtiger Gegenspieler zum meist aufregenden Alltagsleben unserer Hunde. Hunde, die ausreichend entspannen sind ausgeglichener und haben mehr Ressourcen für den Alltag frei, der meist viel von ihnen fordert. Das Schlafbedürfnis von Hunden unterscheidet sich stark von dem, das wir Menschen haben. Hunde sind Polyphasenschläfer, d.h. sie schlafen und ruhen mehrfach am Tag für kürzere Zeiträume und das je nach Hundetyp und Individuum zwischen 17-20 Stunden am Tag. Wir Menschen hingegen schlafen je nach Typ zwischen 6 und 9 Stunden und sind dann den Rest des Tages wach und aktiv. Da sich viele Hunde am Alltag ihrer Menschen ausrichten müssen, ist Schlafmangel eine nicht allzu seltene Begleiterscheinung eines ganz normalen Hundealltags. Wenn Hunde mit Verhaltensauffälligkeiten zu mir ins Training kommen, ist Schlaf und Ruhe eine der Punkte, die ich ganz besonders gründlich abklopfe.

Eine, der Übungen, die ich nazu immer empfehle, ist die konditionierte Entspannung. Konditioniert bedeutet, dass die Entspannung mit verschiedenen Signalen verknüpft wurde und damit gezielt ausgelöst werden kann.

Jetzt denkst du dir vielleicht: Ok, mein Hund schläft doch ausreichend viel den ganzen Tag, wozu brauche ich dann die konditionierte Entspannung?

Eine gut aufgebaute konditionierte Entspannung kann dir in verschiedenen Kontexten behilflich sein, selbst wenn dein Hund Zuhause ausreichend von sich aus zur Ruhe kommt.

1. Die Signale sind transportabel. Du kannst sie also dorthin mitnehmen, wo dein Hund vielleicht nicht selbstverständlicherweise entspannt ist und ihm damit helfen auch in diesen Situationen zu entspannen und mehr Ressourcen für die Bewältigung der Situation frei zu haben. Das kann beispielsweise sein: Der Tierarztbesuch, eine lange Autofahrt, am Urlaubsort, auf Seminaren, auf Besuch bei xy.

2. Eine konditionierte Entspannung, die mit einer schrittweisen Trennung von dir aufgebaut wurde, ist ein Kernelement des Trainings zur Bewältigung von Trennungsstress. Im ersten Schritt wird die konditionierte Entspannung in deiner Anwesenheit trainiert und dein Hund lernt dann schrittweise die Entspannung mit deiner Abwesenheit zu verknüpfen.

3. Sie ist eine Investition in die Zukunft, denn selbst wenn dein Hund möglicherweise garkeine Probleme in keiner denkbaren Situation hat entspannt zu bleiben, kann sich das im Alter durch verschiedene Faktoren wie beispielsweise Schmerzen ändern. Dann kannst du die konditionierte Entspannung zusammen mit einer Schmerztherapie nutzen, um deinen Hund zu unterstützen. Ganz nebenbei tut diese Entspannungszeit zusammen mit deinem Hund auch dir gut, denn auch wir Menschen haben meist einen viel zu hektischen und vollen Alltag.

Aufbau der konditionierten Entspannung

Schritt 1: Suche die 2-3 verschiedene Signale aus, die du mit der Entspannung verknüpfen willst. Bewährt hat es sich einen Duft als Entspannungssignal einzusetzen (beispielsweise von Easy Dogs). Du kannst dir den Entspannungsduft deines Hundes aber auch selbst mischen, indem du ein ätherisches Öl 1:10 (1 ml ätherisches Öl, 9 ml Mandelöl) in einer Braunglasflasche (gibt es in der Apotheke) selbst mischst. Dazu verwenden viele auch ein Tuch, das dem Hund angelegt wird, wenn die Entspannungszeit beginnt. Du kannst auch eine bestimmte Decke als Unterlage auftrainieren auf der du das Entspannungstraining machst oder eine bestimmte immer gleiche ruhige und entspannende Musik abspielen (eine Möglichkeit, die ich nutze, ist der Relaxopet). Eine andere Möglichkeit ist ein optisches Signal wie eine besondere Lampe oder Lichterkette, die immer eingeschaltet sind, wenn die Entspannungszeit für den Hund beginnt.

Schritt 2: Du hast dir 2-3 verschiedene Dauersignale ausgesucht. Jetzt beginnst du gezielt ohnehin entspannte Phasen im Tag deines Hundes mit diesen Signalen zu verknüpfen. Ich empfehle zu Anfangs 30 min an 5 von 7 Tagen pro Woche gemeinsam mit deinem Hund zu entspannen. Du legst die Signale aus. Setzt dich neben oder in die Nähe deines Hundes zB auf die Couch und liest ein Buch oder schaust mit Kopfhörern einen Film. Bleibt dein Hund während dieser Zeit entspannt, kannst du nach 30 min die Signale wieder ausschalten und wegräumen (Duft in einer luftdichten Dose lagern).

Fallstricke:


  • Dein Hund geht weg, denn du ihm versuchst das Tuch umzulegen. Dann lege das Tuch lieber neben deinen Hund, anstatt es ihm umzulegen.
  • Dein Hund geht weg sobald du mit dem Duft in seine Nähe kommst. Der Duft scheint deinem Hund nicht angenehm zu sein, probiere einen anderen Duft oder lasse die geruchliche Komponente weg.
  • Während der Entspannungszeit steht mein Hund auf und legt sich woanders hin. Kein Problem! Er muss nicht bei dir liegen bleiben. Du machst ihm nur ein Angebot und wenn er sich entscheidet an einem anderen Ort zu entspannen, ist das kein Problem.
  • Während der Entspannungszeit beginnt plötzlich Trubel, es klingelt, dein Hund bellt und ist aufgeregt. Überlege dir, ob du vielleicht eine andere Tageszeit, zB direkt vor dem zu Bett gehen nutzen kannst um diese Übung mit deinem Hund zu machen.

 

Schritt 3: Dein Hund bleibt ganz entspannt liegen, wenn du die Signale auslegst und bleibt 30 min entspannt? Dann kannst du nun beginnen dich weiter von deinem Hund wegzubewegen. Mache die Schritte nicht zu groß. Setz dich vielleicht erstmal auf einen Stuhl im selben Raum oder an die andere Kante des Sofas. Du kannst dann auch beginnen dich ganz normal im Raum zu bewegen. Tendiert dein Hund dazu deine Abwesenheit als beunruhigend zu empfinden, dann empfehle ich ein Kindergitter anzuschaffen und dich so schrittweise von deinem Hund zu trennen. Zuerst kannst du am Gitter sitzen bzw. näher dran rücken. Dann sitzt du hinter dem Gitter während es noch offen ist, dann geschlossen usw. Wird dein Hund unentspannt, verlässt er seinen Platz um in deiner Nähe zu liegen oder findet keine Entspannung, dann gehe sofort wieder einen Schritt zurück. Das bedeutet, dass das Training für deinen Hund an dieser Stelle zu schnell voranschreitet.


Schritt 4: Nach 6-8 Wochen sind diese Signale bei den meisten Hunden mit Entspannung verknüpft und können auch in schwierigeren Situationen eingesetzt werden. Erwarte nicht, dass dein Hund umfällt und schläft wenn du ihm vor dem Tierarztbesuch das Halstuch und den Duft umlegst. Vielmehr wird es dazu beitragen, dass dein Hund sich entspannter fühlt, was nicht immer direkt beobachtbar ist. Er kann jedoch unter der Oberfläche mehr an negativem Input abfedern und die Situation besser bewältigen.



Sollte nach 6-8 Wochen keinerlei Fortschritt zu sehen sein, würde ich dir empfehlen spätestens dann einen Trainer (zB vom IBH e.V.) hinzuziehen, der mit dir die einzelnen Schritte nocheinmal durchgeht und dich bei der Umsetzung und Suche nach eventuellen Faktoren, die die Entspannung verhindern unterstützt.


Entspannungs-Akku regelmäßig aufladen


Eine Sache zum Schluss, die aber sehr wichtig ist: Je häufiger du diese Signale in unentspannten Situationen einsetzt, zB beim Tierarzt, bei Besuch etc. desto häufiger musst du sie auch aufladen sonst besteht die Gefahr, dass sie sich mit der Aufregung verknüpfen und keine Entspannung mehr auslösen. Entspannungssignale sollten zu 20% eingesetzt und zu 80% aufgeladen werden. Wenn du also dein Entspannungssignal 2 mal pro Woche für Besuche einsetzt, dann solltest du es 8 mal Zuhause mit echter Entspannung aufladen.

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