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Warum Frust im Antijagdtraining reduziert werden sollte

Nadine Weissheimer • Juli 22, 2020

Auf dem Titel dieses Artikels habe ich wirklich lange herumgekaut, denn ich mag das Wort „Antijagdtraining“ nicht. Es impliziert durch seine Wortwahl „anti“ = gegen, dass wir quasi ein Training gegen das Jagdverhalten des Hundes anstreben. Fakt ist aber, dass Jagdverhalten als angeborenes Verhalten weder langfristig unterdrückt, noch gelöscht werden kann. Jagdverhalten gehört zum Hund wie seine Ohren, seine Nase, seine Rute und sein rechter Zeh. Es ist ein Teil von ihm und untrennbar mit seinen genetischen Wurzeln als Beutegreifer und dem was ihn als Individuum ausmacht verbunden. Manche Hunde spüren diese Verbindung stärker, andere garnicht mehr.


Nicht gegen, sondern mit dem Hund


Wer versucht das Jagen seines Hundes zu unterdrücken, arbeitet gegen die Natur seines Hundes. Das fühlt sich für den Hund ziemlich bescheiden an. Weil Jagdverhalten angeboren ist und noch immer so tief im Bedürfnisregister vieler Hund verankert ist, ist es - einmal ausgelöst - auch äußerst schwer zu stoppen. Möchte man es hemmen, kommt man bei passionierten Hunden nicht drum herum den Hund auf der Sicherheitsebene zu bedrohen. Das bedeutet, dass die eingesetzte Strafe den Hund so stark beeindrucken muss, dass er um sein körperliches Wohlbefindet fürchtet. Nicht umsonst sind gerade Stromhalsbänder vor allem in der Kontrolle von Jagdhunden lange weit verbreitet gewesen. Diese Geräte sind glücklicherweise mittlerweile verboten.


Modernere Trainingsansätze tragen diesem großen inneren Bedürfnis mittlerweile Rechnung und arbeiten mit dem Hund statt gegen ihn.


Der sichere Rückruf, Allheilmittel?


Die meisten Menschen, die einen jagenden Hund haben, haben den großen Wunsch mit ihrem Hund einen wirklich sicheren Rückruf zu trainieren, der auch dann funktioniert, wenn das Reh quasi vor der Nase des Hundes hochspringt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Hund kann abgeleint werden, die Ungebundenheit des Freilaufs genießen und das quasi in jedem Umfeld. Wenn Wild hochspringt, pfeift oder ruft der Mensch und der Hund ist wieder da. Mir wird es warm ums Herzen wenn ich mir vorstelle, wie schön und sorgenfrei ein solcher Spaziergang sein kann. Leider wird er für die meisten Menschen, die nur am Rückruf arbeiten und diesen als Kern ihres Antijagdtraining sehen, ein Traum bleiben. Warum?


Dafür müssen wir einmal einen genaueren Blick auf den Rückruf werfen. Stellen wir uns einen Hund vor, der in der Natur wie in einem Erlebnispark unterwegs ist. Seine Sinne sind wach und überall warten tolle Attraktionen und Abenteuer auf ihn. Dort ist eine wunderbare Spur, da ist ein toller Geruch und je frischer der Geruch ist, desto schneller schlägt sein Puls. Seine Gene sagen ihm, dass es sich lohnt diese intensiv zu verfolgen. Dann hat er das Glück, 1 in 100 mal, dass vor ihm auch direkt ein Wildtier aufspringt. Dieses Erlebnis ist wie ein Lottogewinn für den Hund und ähnliche Emotionen werden auch aktiviert. Ganz oft passiert es dann, dass wir genau in diesem Moment unseren Hund zurückpfeifen.


Was für eine enorme Leistung es ist sich von einem Lottogewinn abzuwenden, brauche ich wahrscheinlich nicht zu betonen. Die Gefühle, die als nächstes kommen sind Enttäuschung und Frust. Enttäuschung über den verpassten Lottogewinn und Frust darüber, dass das motivierte Verhalten nicht weiter ausgeführt werden kann. Frust ist dazu da die Energie bereit zu stellen, um das Hindernis, das das Verhalten behindert, zu überwinden. Dadurch führt es zu seiner starken Erregungssteigerung. Frust ist zudem ein wirklich unangenehmes Gefühl, das negativ abgespeichert wird.


Wenn wir unser Training am Jagdverhalten also nur darauf konzentrieren den Hund mehr oder weniger früh abzurufen, dann wird sich über kurz oder lang unser Einschreiten für den Hund richtig blöd anfühlen. Wir sind die Spaßbremsen, die Buhmänner und die Spielverderber. Ist der Rückruf erstmal mit dem Frust verknüpft, war die ganze Arbeit am Rückruf meistens ziemlich umsonst, denn der Hund wird sich verständlicherweise nicht mehr dafür entscheiden zurück zu kommen. Schließlich beendet der Ruf ja seinen Spaß.


Wie kann ich am Jagdverhalten trainieren ohne der Buhmann zu werden?


Der Rückruf sollte nicht mehr Mittelpunkt des Trainings sein. Er ist ein wichtiger Bestandteil aber wie in allen Trainingsbereichen gilt auch beim Training am Jagdverhalten: Vor jedem unerwünschten Verhalten kommen mindestens drei erwünschte Verhaltensweisen auf die wir uns konzentrieren können.


Der neue Mittelpunkt des Trainings ist das Verstärken des erwünschten Verhaltens. Eine erwünschte Verhaltensweise bevor der Hund losrennt, ist meistens das Orientierungsverhalten: Das Stehen und Schauen oder das Stehen und Wittern. Diese wahrzunehmen und zu belohnen führt dazu, dass wir für den Hund Teil seiner wunderbaren Erlebnisparkwelt werden.


Stehen und Schauen begleiten wir mit leisem Loben. Zeigt der Hund von sich aus eine Orientierung in unsere Richtung, bieten wir Belohnungen an, die seinem jagdlichen Bedürfnis hinterherzurennen, zu packen und zu zerlegen entsprechen. Für viele Hunde eignen sich hier Beutepäckchen, andere mögen Fellspielzeuge oder Futterbeutel.


In einem sehr stimulierenden Umfeld unterwegs zu sein, wo ständig jagdliche Reize auf den Hund warten, ist wie ein Besuch in einem Erlebnispark. Das ist einmal schön aber machen wir es jeden Tag wird es anstrengend. Wenn der Hund dann noch ständig zurückgehalten wird, z.B. durch eine Leine, die die Umwelt vor seinem Verhalten schützt, dann haben wir auch hier eine weitere Frustbaustelle eröffnet. Die Spazierwege sollten also so gewählt werden, dass der Hund nicht immer auf 180 ist. Diese Spazierwege findet man indem man unterschiedliche Umgebungen ausprobiert und gut beobachtet worauf der eigene Hund reagiert und wie er sich nach dem Spaziergang verhält. Kommt er schwer zur Ruhe oder ist komplett fertig, dann war der Spaziergang noch zu anstrengend.


Fazit:


  • Unterdrücken von Jagdverhalten ist langfristig nicht möglich. Wäre das unser Ziel müssten wir den Hund auf seiner Sicherheitsebene bedrohen. Das lehnen wir ab.
  • Der Rückruf ist ein Verhaltensunterbrecher. Er unterbricht das gerade motivierte Verhalten und kann so Frust auslösen, wenn er zu oft und als ausschließliches Mittel eingesetzt wird.
  • Ist der Rückruf erstmal mit dem Gefühl von Frust verknüpft, reagiert der Hund meistens nur noch schlecht darauf.
  • Um Frust zu vermeiden wählen wir einen neuen Schwerpunkt in unserem Training: Das Wahrnehmen und Belohnen von erwünschten Verhaltensweisen wie Stehen, Schauen und Wittern.
  • Wir nutzen Belohnungen, die dem jagdlichen Bedürfnis entsprechen und achten auf die individuellen Vorlieben unseres Hundes.
  • Wir gestalten unsere Spaziergänge so, dass der Hund nicht ständig durch Jagdauslöser stimuliert wird und suchen uns Wege, wo er auch mal entspannt unterwegs sein kann.

Orientierungsverhalten soll sich für den Hund lohnen!

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