Blog-Layout

Wassersprühflasche, Rappeldose und Co

Nadine Weissheimer • Aug. 21, 2022
Ich muss zugeben, dass es Fernsehsendungen gibt, die ich tunlichst vermeide, da ich mir sonst Sorgen um meinen Blutdruck mache. Eine dieser Sendungen ist der Hundeprofi auf VOX. Es ist mir in den vergangenen 7 Jahren mehrfach passiert, dass Kunden mit Problemen zu mir kamen, die auf diese Sendungen zurückzuführen sind und die sie, bevor sie die dort empfohlenen Trainingstipp ausprobiert haben, nicht hatten.

Es ist mein Herzenswunsch, dass Menschen mit ihren Hunden freundlich und fair zusammenleben, deshalb war es mir wichtig in diesem Blogartikel zu erläutern was sich hinter diesen Trainingstechniken verbirgt. So hat jeder, der möchte, die Chance zu verstehen, was bei den angewandten Trainingsmethoden wirklich passiert und welche Nebenwirkungen sie haben können. Niemand bestreitet, dass diese Methoden funktionieren, die Frage ist zu welchen Preis? Und möchte ich meinen Hund auf diese Weise trainieren? Diese Fragen kann sich am Ende des Blogartikels jeder selbst beantworten. Eins vorneweg: Für mich ist es sehr wichtig, dass mein Hund bei mir ein so angenehmes Leben wie möglich hat und deshalb wende ich nur Trainingsmethoden an, die ihn nicht einschüchtern, ihm nicht wehtun und vor denen er auch keine Angst haben muss.

Die Wassersprühflasche

Eine der Hauptanwendung der Wassersprühflasche ist es Verhalten schnell abzubrechen. Eine häufig gezeigte Anwendung ist das Bellen am Gartenzaun daher möchte ich die Wirkungsweise anhand dieses Beispiels erklären. Es gibt aber natürlich noch weitere Trainingsfelder, wo die Wassersprühflasche zum Einsatz kommt. Das Wirkprinzip ist in allen Fällen gleich.

Was passiert? In dem Moment in dem der Hund zu Bellen beginnt, wird ihm das Wasser ins Gesicht gesprüht.

Was ist das Ziel? Der Hund soll sofort aufhören zu bellen.

Was soll im Gehirn des Hundes abgespeichert werden? Wenn ich am Gartenzaun belle, ist das für mich gefährlich. Ich erschrecke mich. Das möchte ich vermeiden, daher belle ich nicht mehr am Zaun.

Neben der Frage, ob ich möchte, dass mein Hund etwas unterlässt, weil er sich vor den Konsequenzen fürchtet, muss ich mich noch zusätzlich fragen: Ist dieser Trainingsweg sicher oder gibt es die Möglichkeit der Nebenwirkungen?

Oft wird behauptet das Wasser tue dem Hund ja nicht weh, also wäre die Anwendung unproblematisch. Sie ist aber doch ein großes Problem und das aus folgenden Gründen:

Wasser ins Gesicht tut nicht weh. Wir machen es jeden Morgen im Badezimmer. Der Unterschied: Wir sind darauf vorbereitet. Wir spritzen uns das Wasser selbst ins Gesicht und es hat einen Zweck, nämlich unser Gesicht zu reinigen.

Stell dir vor du kommst nach Hause, ein Familienmitglied steht neben der Tür und spritzt dir unvermittelt Wasser ins Gesicht. Was geht in dir vor? Du erschreckst dich, denn das Wasser kommt überraschend und die Situation fühlt sich an wie ein Angriff. Die Situation morgens im Badezimmer und die an der Tür unterscheiden sich im Empfinden und der Wahrnehmung maßgeblich, auch wenn das Endergebnis. "Wasser im Gesicht". dasselbe ist. Die Umstände spielen also eine Rolle wie wir etwas wahrnehmen. Wir können nicht aus dem Umstand, dass Wasser im Gesicht nicht wehtut schließen, dass es deshalb kein Problem ist.

Wenden wir uns dem Ziel der ganzen Aktion zu, der Lerneffekt: Wird diese Wasserspritzaktion jetzt dazu führen, dass du nicht mehr durch deine Eingangstür kommst? Weißt du überhaupt wofür, wozu oder aus welchem Grund dir das Wasser ins Gesicht gespritzt wurde? Hast du dir die Schuhe nicht abgeputzt oder bist du drinnen generell nicht willkommen? Bei unseren Hunden erwarten wir, dass sie immer sofort wissen was gemeint ist, wo wir selbst mit einem solchen Rückschluss wahrscheinlich überfordert wären.

Die Nebenwirkungen

Der Schreckreiz

Das Wasserspritzen muss beim Hund einen Schrecken auslösen sonst hat es wie beim Badezimmerbeispiel keinen Effekt. Dann ist halt das Gesicht nass, so what? Unser Ziel ist es ja, dass der Hund am Zaun nicht mehr bellt und nicht ihm das Gesicht zu waschen.

Der Hund erschreckt sich also auf das Wassespritzen hin. Das löst Angst aus. Alle Lebewesen wollen Angst vermeiden, deshalb unsere Logik: Das hat ihn erschreckt und das macht er sicher nicht nochmal. Tatsache ist aber, dass auch Strafen wiederholt angewendet werden müssen bis der Lerner versteht welches Verhalten die Strafe auslöst und diese dann zukünftig vermeidet. Je härter die Strafe und je mehr sie den Lerner in seinem Sicherheitsgefühl bedroht desto schneller der "Lernerfolg". D.h. ich muss meinen Hund wiederholt und/oder sehr stark erschrecken, wenn er an den Zaun rennt und bellt.

Das ist schon logistisch eine große Herausforderung, denn ich muss ja immer genau neben meinem Hund stehen, um dann sprühen zu können. Was also gemacht wird, ist dem Hund eine Falle zu stellen. Die Lernsituation wird so gestaltet, dass der Hund das unerwünschte Verhalten zeigt. Anschließend wird er bestraft. Das ist gemein! Das ist als würde ich die Herdplatte mit Absicht anmachen, um mein Kind dann in die Küche zu locken, es dazu zu bringen auf die heiße Herdplatte zu greifen damit es dann lernen kann, dass auf Herdplatten zu greifen weh tut.

Mit dem Schreckreiz jage ich meinem Hund also Angst ein damit er etwas lernt und ich stelle ihm eine Falle damit ich ihn dann erschrecken kann, um das Lernergebnis abzusichern und die notwendigen Wiederholungen zu bekommen. Kann ich das für ein geliebtes Lebewesen wirklich wollen? Wer hier noch nicht zweifelt, dem stelle ich gerne Nebenwirkung Nummer 2 vor:

Fehlverknüpfungen

Lernen ist immer ein bisschen wie eine Lotterie. Wir können nicht genau vorhersagen, was im Gehirn genau abgespeichert wird. Wenn wir mit Belohnungen arbeiten und eine Belohnung nicht dazu führt, dass der Hund das gewünschte Verhalten häufiger zeigt, dann müssen wir unser Trainingssetting anpassen. Dem Hund ist aber nichts passiert außer, dass er ein paar Kalorien mehr zu sich genommen und sich über den Keks gefreut hat.

Ein Schreckreizen geht einher mit der Gefahr der Fehlverknüpfung, denn alles was der Hund zum Zeitpunkt des Schreckes wahrnimmt, kann mit dem Schreckerlebnis assoziiert und abgespeichert werden. Das kann die Wahrnehmung einer Kinderstimme sein, die in dem Moment freudig quietschend den Bürgersteig entlangläuft. Das kann der eigene Hundehalter sein, der ja mit der Flasche danebensteht. Das kann eine bestimmte Handbewegung zB auf den Hund zu sein, die mit dem Schreckerlebnis zusammen abgespeichert hat.

Ist eine solche Fehlverknüpfung einmal gemacht, lässt sie sich nicht so einfach wieder löschen, sondern stellt uns und unseren Hund vor neue Probleme. Möglicherweise habe ich mit meiner Aktion meinen Hund vom Bellen am Zaun abzubringen dazu beigetragen, dass er zukünfigt mit Kinderstimmen, einer Handbwegung von mir oder mir als Person ein Problem hat, weil er diese mit der Angst in Verbindung bringt. Und dann habe ich zu dem eigentlich problematischen Verhalten "Bellen am Zaun" noch ein weiteres, ganz anderes Problem, das nicht nur meinen Hund sehr belastet, sondern auch unseren Alltag deutlich schwieriger macht.

Das ist dann meistens der Punkt an dem Menschen, die diese Methoden mit ihrem Hund einmal ausprobiert haben einen Hundetrainer aufsuchen, denn der Hund bellt ja jetzt nicht nur am Zaun, sondern auch Kinder an, schnappt nach mir oder lässt sich nicht mehr anfassen.

Das eigentliche Problem wurde nicht gelöst

Hunde bellen am Zaun aus vielen verschiedenen Gründen. Wird das Bellen mit einem Schrecken bestraft, wird keinem dieser Gründe Rechnung getragen. Die Frage "Warum macht mein Hund das überhaupt?" spielt keine Rolle.
Mein Hund fühlt sich also immernoch so als würde er gerne zum Zaun rennen und losbellen, macht es aber nicht, weil er die Konsequenzen - den Schreck - fürchtet. Was er stattdessen tun soll, weiß der Hund auch nicht, also macht er ganz oft lieber einfach garnichts.

Wenn das Verhalten des Hundes also nicht mehr bestraft wird, kann es jederzeit sein, dass er es nicht schafft den inneren Impuls zu unterdrücken und er in sein altes Verhalten zurückfällt. All diese Risiken und Umwege für nix und wieder nix?

Genauso wie bei Belohnungen ist es eben nicht so, dass man seinen Hund einmal besprüht und damit ist das Problem für alle Zeit vergessen. Wenn das so wäre, wären Hunde in ihrem Lernen sehr unflexibel und überhaupt nicht fähig sich an eine ständig verändernde Umwelt anzupassen. Diese Fähigkeit braucht aber jedes Lebewesen, um zu überleben. Deshalb werden Lernerfahrungen auch immer wieder vom Gehirn überprüft. Wenn wir mit Belohnungen arbeiten dann frischen wir das erlernte Verhalten immer wieder mit positiven Konsequenzen auf. Bei Strafen greift dasselbe Prinzip. Kann ich das wirklich wollen?

Fazit:

Ob Wassersprühflasche, Rappeldose oder Wurfdiscs, sie alle wirken nach dem oben beschriebenen Prinzip. Sie alle erschrecken den Hund, können schwerwiegende Fehlverknüpfungen und damit neue Probleme auslösen und beschäftigen sich null komma null mit dem eigentlich Grund des Verhaltens. Der Hund hat keine Chance zu lernen wie er sich stattdessen besser oder anders verhalten kann.

Die Nebenwirkungen von "ein bisschen Wasser im Gesicht" oder ein bisschen Erschrecken sind groß und sind für den Hund mit sehr viel Leid verbunden.

"Ein bisschen Wasser", "Ein bisschen Lärm", "Ein bisschen Schreck" - wer seinen Hund liebt, entscheidet sich dagegen.

von Nadine Weissheimer 09 Okt., 2022
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Hier erfährst du warum dem nicht so ist.
von Nadine Weissheimer 26 Sept., 2022
Welche Besonderheiten gibt es beim Lernen mit Jungtieren? Gilt der berühmte Satz "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr"?
von Nadine Weissheimer 16 Aug., 2022
Den Erfolg wahrscheinlich machen und lernen so gestalten, dass der Hund schnell auf die richtige Idee kommt.
Weitere Artikel anzeigen
Share by: