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Der Tierschutzhund und die Angst

Nadine Weissheimer • Juni 30, 2022

Frei von Angst die Welt erkunden zu können - das wünscht sich jeder Mensch für seinen Hund,

Es gibt ganz unterschiedliche Gründe warum Hunde Angst haben. Ein Grund kann sein, dass sie in ihrem vorherigen Leben in einer ganz anderen Welt gelebt habe. Diese Welt kann nur aus der Dunkelheit einer Kiste beim Vermehrer bestanden haben, oder aus dem Inneren einer Gartenhütte, weil der ehemals süße Welpe irgendwann doch lästig geworden ist. Manchmal kommen die Hunde auch von sehr weit her und haben dort nicht nur ganz andere Lebensumstände wie dichtes Gedränge in viel zu vollen Tierheimzwingern kennengelernt, oder Menschen, die ihnen schlimme Dinge zu Leide tun, weil Hunde in manchen Ländern als störend und gefährlich empfunden und entsprechend entsorgt werden (wir hier in Deutschland gehen mit den Ratten, die wir garnicht gerne auf unseren Straßen sehen auch nicht sonderlich nett um).

Der Umzug in unsere neue schöne Welt kommt diesen Hunden wie ein Kulturschock vor. Sie haben Angst vor dem was unbekannt ist. Dies ist erstmal für sich genommen eine verständliche und auch ganz normale Reaktion. Hunde, die nie Gelegenheit hatten sich an unsere laute volle Welt mit all ihren Anforderungen zu gewöhnen, können damit verständlicherweise Schwierigkeiten haben.

Ich möchte heute über die Hunde schreiben, die soviel Angst haben, dass sie sich quasi selbst im Wege stehen. Hunde, die bei jedem Geräusch zusammenzucken, die sich Tage, Wochen oder sogar Monatelang nicht wirklich irgendwohin trauen. Hunde, die sich in kleinsten Winkeln, unter Betten und in Boxen verstecken. Hunde, die von ihrer Angst beherrscht werden und das eben über einen längeren Zeitraum, so dass sich von chronischem Angsterleben sprechen lässt.


Ein paar kurze Sätze zur Emotion Angst: Was ist Angst eigentlich?

Angst ist nichts schlechtes. Sie schützt das Individuum vor Gefahren und macht es bereit diesen zu entkommen und sich entsprechend zu verhalten, um das eigene Leben zu schützen. Dass es in einer Population ängstliche und draufgängerische Exemplare gibt, ist evolutionstechnisch gesehen mehr als erwünscht, denn nur so kann die Spezies das Spiel der Evoluation gewinnen. Wenn die Zeiten gerade schwierig sind, dann überleben eher die, die weniger Risiken eingehen und in guten Zeiten erobern sich die Wagemutigen so manchen Lebensraum, den die Vorsichtigen so einfach nicht erreichen würden. Angst ist also nichts schlechtes solange sie dem Individuum hilft sich an eine bedrohliche Situation entsprechend anzupassen. Angst wird dann „schlecht“, wenn diese anpassenden Eigenschaften nicht mehr zu sehen sind, wenn Angst Kreise zieht, immer mehr Angstauslöser „gesammelt“ werden und der Körper in einen chronischem Stresszustand gerät mit viel zu wenig Regenerationsgelegenheiten.

Dann wird Angst zur chronischen Belastung und wirkt sich stark auf die Lebensqualität und die Gesundheit aus. In einem solchen Fall haben wir als Verantwortliche für das Tier die Pflicht zum Handeln. Dann wird die Behandlung der Angst tierschutzrelevant.


Hunde und Angst - Anforderungen an den Menschen

Tierschutzhunde sind außergewöhnlich häufig von dieser starken Angst betroffen, eben weil sie keine Gelegenheit hatten sich von klein auf an das zu gewöhnen was sie in unserer Menschenwelt erwartet. Oder weil sie so schlechte Erfahrungen gemacht haben, dass sie traumatisiert sind.

Diese Hunde brauchen unsere Hilfe und es ist nicht nur Geduld und Liebe, die sie dringend nötig haben, sondern auch viel Fachkenntnis und ein passender Lebensraum in dem sie in geschütztem Rahmen und ohne Zeitdruck in ihrem Tempo lernen können. Sie brauchen die Möglichkeit Bewältigungsstrategien für ihre Angst zu erlernen. Das bedeutet oft, dass sie einen gesicherten Außenbereich benötogen in dem sie sich Schritt für Schritt und ohne die zwingende Notwendigkeit weiterer Anforderungen, wie zB das Laufen an der Leine, erfüllen zu müssen an ihre neue Lebenswirklichkeit gewöhnen und sich lösen können. Sie müssen die Gelegenheit bekommen in ihrem eigenen Tempo gute Erfahrungen mit der neuen Umwelt zu machen. Gleichzeitig darf nicht zugelassen werden, dass der Hund den ganzen Tag nur in der dunklen letzten Ecke sitzt, weil er es alleine nicht schafft diese Erfahrungen zu machen. Der Mensch, der diesen Hund anleitet, benötigt Fachkenntniss über das Lernen und die Emotion Angst genauso sehr wie Mitgefühl und ein gutes Gespür für das individuell richtige Maß. Er muss den Hund außerordentlich gut lesen können und Rückschritte genauso gut verkraften wie er die kleinen Fortschritte feiern kann. Menschen, die solchen Hunden helfen brauchen einen langen Atem und müssen sich in ihren Erwartungen an den Hund gut einschränken können. Nicht zuletzt finde ich, dass niemand diesen Job alleine machen sollte, denn wenn wir tagtäglich mit einem solchen Hund zusammen leben, dann kann uns ein neutraler Blick von außen oft super gut weiterhelfen und uns von unserer „Betriebsblindheit“ befreien.


Hilfe holen erlaubt

Mithilfe von Tierärzten, die sich auf Verhaltensmedizin spezialisiert haben, lassen sich Möglichkeiten finden den Hund medikamentös so einzustellen, dass sein Gehirn überhaupt erst in der Lage ist entsprechende Lernprozesse zuzulassen. Denn ein Hund, der in ständiger Angst lebt, lebt auch mit einem Gehirn, das von Stresshormonen überflutet ist. Stress hemmt die Fähigkeit zu lernen und Erlerntes abzuspeichern. Der Hund befindet sich also in einem Teufelkreis aus dem er alleine kaum mehr raus kommt. Als neutraler Dritter kann ein Tierarzt oft auch dabei helfen die richtigen Trainingsschritte zum richtigen Zeitpunkt umzusetzen. Oft arbeiten diese Tierärzte mit hervorragend ausgebildeten Verhaltenstherapeuten zusammen, die ich an dieser Stelle nur empfehlen kann, auch wenn man selbst eine sehr weitreichende Fachkenntnis hat. Nicht alleine zu sein, sich jemandem anvertrauen zu können, die Rückschläge genauso wie die Fortschritte teilen zu können und eine weitere Perspektive auf die Entwicklung des Hundes zu haben, kommt allen Beteiligten zu Gute.

Fazit

Aus meiner Sicht wird schnell klar: Solchen Hunden wirkungsvoll zu helfen, ist eine große Herausforderung. Ihnen diese Hilfe zu verweigern, ist keine Option, denn wir als Menschen haben sie in diese Lage gebracht. Wenn wir uns auf die Fahne schreiben Tiere schützen und ihnen helfen zu wollen, dann dürfen wir vor diesem Aufwand nicht scheuen, denn für das Tier ist das Leben in Angst ein absolut schreckliches Schicksal.
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