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Trainingstechniken unter der Lupe - Teil 1

Nadine Weissheimer • Aug. 14, 2022

Was hinter einer Tür liegt, wissen wir erst, wenn wir sie öffnen. So ähnlich ist es auch beim Lernen, was das Tier genau gelernt haben, erkennen wir erst am Ergebnis.

Traininieren wie die Profis - ein Wunsch, der in uns allen schlummert und durch außergewöhnliche Vorführungen oft erst so richtig geweckt wird: Das will ich auch so, mein Tier soll das auch können. Nicht immer ist das, was uns auf der großen Bühne verkauft wird ohne Nebenwirkungen. Gerade, wenn wir es dann Zuhause ausprobieren. Vor großen Publikum wird diese vermeintliche Detail jedoch oft weggelassen. Am Wochenende war ich auf einer großen Pferdemesse und habe einen Ausspruch gehört, der mich nachdenklich gemacht hat. Und da dachte ich: Zeit mal die Lupe rauszuholen und mal genauer hinzuschauen: Was steckt eigentlich dahinter? Ich hoffe ihr habt viel Spaß beim Lesen.

Der Ausspruch lautete, frei aus meinem Gedächtnis zitiert, sinngemäß: "Wir machen alle anderen Türen zu und sorgen so dafür, dass das Pferd nur durch eine einzige offene Tür gehen kann. Zu Anfangs wird das Pferd möglicherweise versuchen verschlossene Türen einzutreten, aber das wird von mal zu mal weniger. Wenn es die offene Tür gefunden hat, loben wir es."

Es geht mir garnicht darum wer das gesagt hat und warum. Ich möchte üben hinter das Gesagt zu blicken und zu überlegen: was steckt hinter solchen Trainingsansätzen, warum funktionieren sie und was machen sie mit meinem Tier? Was für mich aber auch dazugehört: Wer auf sehr großen Bühnen steht, hat eine große Herausforderung zu meistern: Er muss in einer sehr begrenzten Zeit einen komplexen Sachverhalt so erläutern, dass er im Sinne des Sprechenden verstanden wird. Denn Menschen probieren Dinge mit ihren eigenen Tieren aus und das hat oft ganz ungute Nebenwirkungen.

Schauen wir also einmal genauer hin, was heißt das denn "Türen zumachen"?

"Türen schließen" = Verhaltensoptionen reduzieren

Aus meiner Sicht gibt es zwei Wege an dieses Ziel. Entweder man macht dem Tier alle anderen Verhaltensoptionen madig, so dass es diese dann vermeidet und quasi aus Mangel an Optionen die "offene Tür" = das erwünschte Verhalten sucht und hoffentlich findet. Oder man gestaltet die Lernsituation so, dass möglichst wenige Türen in dem sprichwörtlichen Flur vorhanden sind, dadurch weniger Fehler passieren können und auf diese Weise die "offene Tür" sehr schnell gefunden wird. Das Lernergebnis sieht am Ende möglicherweise genau gleich aus, der Weg dahin und die damit verbundenen Emotionen sind aber sehr sehr unterschiedlich. Genau diese Emotionen wollen wir uns im Folgenden einmal genauer anschauen:

Weg 1: Ein Weg gepflastert mit Stop-Schildern

Der Lernprozess beginnt damit, dass das Tier nicht weiß, was wir von ihm wollen. Es ist also ein wenig wie beim Topfschlagen, die Richtung ist unbekannt und es wird einfach mal in eine Richtung losgelaufen. Wieviel und was ein Tier ausprobiert, um der Lösung näher zu kommen, hängt von seiner Persönlichkeit und seinen Vorerfahrungen ab. Eher ruhige und zurückhaltende Persönlichkeiten werden andere Verhaltensweisen zeigen als "die Rampensau", also draufgängerische Typen.

Hat ein Tier in seinem Leben gelernt, dass Eigeninitiative sich lohnt, wird es schneller Unterschliedliches ausprobieren als ein Tier, als ein Tier, dass die Erfahrung gemacht hat, dass es beim Menschen schonmal doof wird, wenn es eigene Ideen verfolgt.

Das Tier ist also nun dabei auf die erste "Tür" zu zusteuern. Der erste Ansatz lautet, dass wir alle anderen Verhaltensoptionen ausschließen, indem wir die "falschen" unerwünschten Verhaltensweisen dem Tier madig machen. Ich übersetz das mal an: Wir hauen die Tür vor der Nase zu oder zeigen ein fettes Stop-Schild sobald es hindurch gehen will.

In ein Trainingskonzept übersetzt bedeutet das, dass wir dem unerwünschten Verhalten direkt etwas negatives folgen lassen müssen. In der Praxis bedeutet das also: Das Tier versucht etwas, und wir lassen dem Fehlversuch nun etwas folgen das vom Tier als unangenehm und negativ empfunden wird. Viele finden "zischen", "wegschicken" nicht weiter schlimm, andere meinen ein kleiner Klaps sei doch nicht schädlich. Das ausgesprochene Ziel ist, dass das Tier diese Tür so unangenehm findet, dass es nicht nochmal versucht hindurchzugehen. Wenn es doch nochmal einen Versuch unternimmt, müssen wir unseren Einsatz steigern, denn nur so kann es lernen diese Tür wirklich zu vermeiden.

Auch wenn das Tier bei einem solchen Trainingsansatz nicht tot umfällt (das wäre wahrscheinlich dann "schlimm"): Erlebt ein Tier etwas unangenehmes, hat das immer unangenehme Emotionen zur Folge: Angst, Schmerz und Unwohlsein (z.B. in sozialer Hinsicht, weil es durch Wegschicken ausgeschlossen wird) in verschiedenen Abstufungen sind möglich und nicht nur davon abhängig was ich als unangenehmen Reiz setze, sondern auch von der individuellen Wahrnehmung des Tieres.

Da wir bei diesem Trainingsansatz alles dem Zufall überlassen, wissen wir nicht wann das Tier die offene Tür findet und wieviele Fehlversuche es hinter sich bringen muss bis es am Ziel ist. Nach einigen Versuchen mit unangenehmen Folgen kommt zu den oben beschriebenen Emotionen noch Frustration hinzu. Dass dieser Trainingsansatz ethisch betrachtet fragwürdig ist, wird denke ich jetzt klar.

Was allerdings richtig ist: Findet das Tier nach einigen Fehlversuchen dann die offene Tür, wird die Erleichterung sehr sehr groß sein. Stell dir vor du hast vergeblich mehrere Minuten deinen Schlüssel gesucht, wenn du ihn dann findest, fällt dir ein Stein vom Herzen. Und dieses Gefühl der großen Erleichterung ist es, was diese Trainingsansätze oft so vermeintlich "schnell" und effektiv aussehen lässt. Der Weg dahin ist jedoch gepflastert mit Emotionen, die meiner Meinung nach im Training von Haustieren nichts verloren haben. Uns stehen heute soviel bessere, tierfreundlichere und weniger belastende Wege offen.

Um nur einige der möglichen Nebenwirkungen zu nennen:
  • Frust wirkt sich auf das Erregungsniveau aus, unter Umständen werden die Versuche immer hektischer
  • Angst, Schmerz und Frust erzeugen Stress. Ansteigender Stress ist mit einem erhöhtem Erregungsniveau verbunden.
  • Ein hohes Erregungsniveau sorgt für weniger effektives Lernen. Das Gehirn kann Gelerntes nicht mehr so gut abspeichern und das Zugriff auf bereits Gelerntes fällt schwerer. Bei sehr hohem Erregungsniveau kann lernen unmöglich sein.
  • Die empfundenen Emotionen werden unter Umständen mit der Lernsituation und/oder dem Menschen verknüpft. Wenn das nächste mal beides zusammen kommt, kommen die Emotionen auch ohne direkten Auslöser direkt wieder hoch.
Fazit:

Diese Variante Türen zu schließen in dem wir sie dem Tier madig machen, hat zahlreiche Nebenwirkungen und ist mit Risiken und garantiert negativen Emotionen verbunden.

Im Teil 2 wird es dann darum gehen (kommt in ein paar Tagen), wie wir diesen Ausspruch im besten Sinne verstehen und für unser Training nutzen können, um Spaß am Training und effektives Lernen zu fördern.

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