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Hase hoch, Hund weg – wenn Vertrauen flöten geht

Nadine Weissheimer • Aug. 13, 2020

Jagdverhalten ist angeboren. Dein Hund verlässt dich nicht absichtlich, sondern weil ein millionenjahre altes Verhaltensmuster aktiviert wird.

Gleich zum Anfang unseres Zusammenlebens bin ich mit meiner Paula in zwei absolute Horrorszenarien jedes Hundehalters geraten. Sie ist einem Hasen hinterher gerannt und ich konnte die Leine nicht festhalten. Beim ersten Mal war sie einem Hasen in ein für Menschen undurchdringliches Gestrüpp gefolgt und für 2 Stunden verschwunden. Beim zweiten Mal wären sie und der Hase fast auf der Autobahn gelandet. Beide Male war mir die Leine durch richtig bescheuerte Umstände einfach aus der Hand gerutscht.


Wer diese Panik schon mal erlebt hat, der weiß, dass man in diesen Momenten nur das allerschlimmste befürchtet: Meine Paula überfahren auf der A14, während sich mehrere Autos überschlagen, Feuer, Brand, Explosionen, mein Hund ist tot. Die Panik ergriff vollständig Besitz von mir und ich rannte ihr aus Leibeskräften hinterher bis meine Lungen brannten und meine Kehle von den hysterischen Rufen ihres Namens heiser war. Ich weiß heute garnicht mehr woher die Kraft dazu kam, aber ich habe geheult wie ein Schlosshund, die Tränen sind mir in Bächen über die Wangen und vom Kinn getropft. Sekunden erlebte ich wie Stunden, während mich meine Kräfte immer mehr verließen, die Beine immer schwerer wurden und alle Muskeln so sehr brannten, dass ich glaubte gleich nicht mehr weiterrennen zu können.


Dann endlich verlor sie die Spur des Hasen und wurde langsamer. Wie im Kino habe ich mich mit meinem gesamten Körper auf das Ende der 10 Meter Leine geworfen und blieb erstmal einige Minuten vollkommen entkräftet liegen. Als ich aufblickte, sah ich durch einen Vorhang an Tränen die Leitblanke der Autobahn keine 5 Meter von mir entfernt. Mein Blick fand meine Paula (die übrigens genauso fertig war) und dann brachen die Dämme erst so richtig. Wahrscheinlich war mein Schluchzen im Umkreis von einem km hörbar. Ich war so so unendlich froh, dass sie angehalten hatte und ich hätte sie am liebsten ganz fest an mich gequetscht (und danach erwürgt), stattdessen leerte ich meinen gesamten Leckerlibeutel vor ihr auf dem Boden aus. Die Erleichterung, die den gesamten Körper in diesem Moment flutet ist unbeschreiblich. Aber so erleichtert ich war, so sehr war mein Vertrauen in sie auch erschüttert. Nachdem die erste Gefühlswelle überstanden war und ich wieder in der Lage war mich aufzurappeln, waren meine ersten Gedanken: „Ich hab versagt. Ich und du, das wird nie was. Wie soll ich dir je wieder vertrauen?“


Sich auffangen lassen


Zum Glück kam ich dann auf die Idee unsere Trainerin anzurufen. Durch ihre Unterstützung und Zuwendung ging es mir, nachdem der erste Zusammenbruch vorüber war, sehr schnell wieder viel besser. Ich habe das ganz instinktiv entschieden, da ich wusste, dass kein 30 min Vortrag darüber was ich alles falsch gemacht habe, was alles hätte passieren können und was für ein Idiot ich doch war, auf mich wartete. Stattdessen hat sie mir Mut zugesprochen, sich meine Sorgen angehört und diese durch passende Vorschläge beruhigt. Sich an jemanden zu wenden und das Erlebnis nicht in sich hinein zu fressen, finde ich außerordentlich wichtig.


Sofort-Maßnahme


Wir besprachen was ich ab sofort ändern kann damit eine solche Situation nicht mehr auftritt. So beschlossen wir gemeinsam, dass ich die Leine ab jetzt an mir befestige, so dass sie mir nicht mehr aus der Hand rutschen kann. Ein Karabiner in Kombination mit einem Bauchgurt ist hier am besten geeignet. Wenn gerade das Geld für eine neue Leine mit dieser Modifikation nicht da ist, dann kann man aber durchaus auch Knoten-Techniken lernen, die sehr sicher sind. Manche Anbieter wie Lennie24 bieten auch an die vorhandenen Leinen abzuändern. Durch die sofort und leicht umsetzbare Anpassung habe ich sehr viel Sicherheit gewonnen. Mein größtes Problem war nämlich, dass mir die Situation aus der heraus mir die Leine aus der Hand gerissen wurde, unkontrollierbar erschien. Es ist unmöglich immer 100% aufmerksam zu sein, so dass niemals in einem unbedachten Moment so viel Zug auf die Leine kommt, dass sie mir aus der Hand gerissen wird. Der Anspruch das ab jetzt leisten zu müssen hat in mir extrem viel Druck ausgelöst. Durch ihren Vorschlag die Leine so zu befestigen, wurde mir das Druck sofort genommen. Das war für mich und die Qualität unserer Spaziergänge sehr wichtig.


Planvoll in die Zukunft - mit Training und Management


Wir haben eine Woche danach ein strukturiertes Training am Jagdverhalten begonnen, um wieder Vertrauen in meine Fähigkeiten und die von Paula zu bekommen. Planvolles Training bedeutet, dass wir klein angefangen und über Erfolgserlebnisse in kleinen Schritten am Jagdverhalten gearbeitet haben. Mit jedem Erfolg konnte mein Vertrauen in unsere Zusammenarbeit weiter wachsen.

Dazwischen bin ich mit Paula nur an der gesicherten, langen Leine und in hasenfreien Gebieten spazieren gegangen. Ich habe die Leine als wichtigsten Lebensretter für mich und meinen Hund anerkannt, anstatt sie als Beweis für meine Unfähigkeit zu sehen. Dass ich meine Einstellung zur Leine so ändern konnte, hat nicht nur mein Leben mit Paula, sondern auch das aller Hunde, die nach ihr einzogen und mit einer großen Jagdpassion ausgestattet waren, grundlegend verbessert.


Fazit:


Wenn dir dein Hund weggelaufen ist und du jetzt das Vertrauen in ihn und euch verloren hast dann:


  1. Mach dir bewusst, dass dein Hund dich nicht absichtlich verlassen und in diese schwierige Situation gebracht hat. Jagdverhalten ist angeboren. Dein Hund ist einem millionenjahre altem Verhaltensmuster gefolgt. Es ist nicht seine Schuld.
  2. Such dir Hilfe bei jemandem, der dich aufbaut und dich mit seinem Wissen unterstützt, der dir zuhört und dich nicht verurteilt.
  3. Lass dir von einem guten professionellen Trainer Sofort-Maßnahmen erklären, damit diese Situation nicht wieder auftreten kann und du Sicherheit gewinnst, z.B. indem du deine lange Leine an einem Bauchgurt mit einem Karabiner extra absicherst.
  4. Geh das Training am Jagdverhalten planvoll und gemeinsam mit einem Trainer oder dem von mir vorgestellten Buch „Leben mit Jagdhund“ von Ines Scheurer-Dinger  an. Je kleinschrittiger du trainierst, desto schneller werden sich Erfolge einstellen. Diese Erfolge werden dir das Vertrauen in eure Fähigkeiten und eure tragfähige Zusammenarbeit, auch am jagdlichen Auslöser, zurückgeben.
  5. Betrachte die Leine nicht als Zeichen deiner Unfähigkeit deinen Hund nicht frei laufen lassen zu können, sondern als wertvolle Unterstützung für dich und als wichtigster Lebensretter für deinen Hund.

Vertrauen ineinander ist das Resultat vieler positiver gemeinsamer Erlebnisse. Überlasse sie nicht dem Zufall, sondern erschaffe diese gezielt und richte die Planung für eure Spaziergänge daran aus.

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